LichtFarbenRaum
Eröffnung der Ausstellung in der Galerie AbtART
Studio 57A
Am 27. Januar 2012
Ein Bild ist gut, wenn eine Wirklichkeit durch
das Mittel der Farbe entstanden ist. Eine nie vorher
geschaute Vision ist sichtbar geworden. (
)
Es entstand ein vollkommen Neues. Ein Erlebnis ist
aufgestiegen aus der gelebten Fülle des Malers.
Diese Worte formulierte der Stuttgarter Akademieprofessor
Manfred Henninger, leidenschaftlicher Maler und
unverbesserlicher Traditionalist Anfang der 60er
Jahre also etwa in der Zeit als der Maler Bernd
Mattiebe geboren wurde.
Um im heutigen Kunstbetrieb auf sich aufmerksam
zu machen ist es hilfreich entweder spektakulär
oder konsequent zu sein oder am besten gleich beides.
Über Bernd Mattiebe könnte man sagen,
dass er in seiner Konsequenz spektakulär ist.
Seit Jahrzehnten setzt er sich in seiner Malerei
mit den Primärfarben auseinander, genauer gesagt
mit dem, was in unserem Kulturkreis gemeinhin als
die Grundfarben genannt wird: mit den Farben Rot,
Gelb und Blau.
Die Grundfarben haben eine besondere Wirkung auf
uns. Ihre Kraft beruht allerdings nicht nur auf
ihren abstrakten optischen Eigenschaften. Rot, gelb
und blau sind mehr als Farben. Sie sind Symbole
für elementare Kräfte, die das menschliche
Leben von je her bestimmten. Man betrachte sich
beispielsweise Rot: die Farbe des Blutes, sie steht
für Liebe und Erotik aber auch für Zorn
und Haß, für Wärme aber auch für
das alles verschlingende Feuer. Seine durchschlagende
Signalwirkung machten sich von je her die Mächtigen
dieser Welt zu nutze, Kardinäle, Kommunisten,
Coca Cola und der Weihnachtsmann.
Gelb, die Farbe des Gottes Helios, Farbe des Gedeiens
und der Erkenntnis, Farbe des Goldes aber auch des
Neids, der Missgunst, Schandfarbe diskriminierter
Gruppen. Blau: Der Mantel der Gottesmutter Maria
ist blau, Farbe des Himmels, der Luft und des Wassers,
für Kandinsky steht sie für das Geistige.
In der mittelalterlichen Malerei was das blaue Pigment
des Lapislazuli das teuerste aller Malmaterialien.
All das erzähle ich Ihnen nicht, weil all diese
Bedeutungen in den Malereien von Bernd Mattiebe
vordergründig eine Rolle spielen würden,
in ihrer Wirkung schwingen solche inhaltlichen Assoziationen,
davon bin ich überzeugt, immer mit.
In seiner Malerei arbeitet Bernd Mattiebe zweifellos
zunächst mit Farbwerten und Farbkräften
nicht mit ihrem Symbolwert. Ihm geht es darum, mit
Farb- und Kompositionswirkungen zu experimentieren
und in einer radikal reduzierten Farbpalette die
Möglichkeiten von Malerei auszuloten. So hat
Mattiebe über die Jahre ganz präzise Farbtypen
ermittelt, mit denen er sein künstlerisches
Anliegen am besten umsetzen kann: ein kühles
Zitronengelb ganz ohne Rotanteil, ein Utramarin
ohne Gelb allerdings mit gewissem Rotanteil, ein
Kadmiumrot mit relativ hohem Gelbanteil, das in
seiner Leuchtkraft beinahe Orangerot erscheint.
Dazu kommt in manchen Bildern noch ein kühles
Cyanblau, das fast türkis wirkt.Diese Farben
bringt der Künstler, wie Sie sehen, auf ganz
unterschiedliche Arten auf die groben Leinwände.
Manchmal dünnflüssig, fast lasierend,
so dass sie sich teilweise auf dem Untergrund zerfließt
und in ihn eindringt. Oft jedoch trägt er seine
Farben flächig und satt auf, ohne sichtbare
Binnenstruktur, mal mit dem Pinsel, mal geschüttet.
Man sieht große amorphe Flächen, die
sich wie selbständig auf der Leinwand ausbreiten,
daneben gibt es mehr oder weniger klar umrissene
geometrische Bildelemente, häufig Kreise oder
Ringe aber auch Linien und Streifen.
Diese Grundkonstellation, d.h. die Reduktion auf
drei oder vier klar definierte Farbtöne einerseits
und die Vielfalt, in der er sie einsetzt andererseits,
ist für mich das Geheimnis von Bernd Mattiebes
Kunst.
Bernd Mattiebe inszeniert mehr als er komponiert.
Durch virtuose Schichtungen schafft Mattiebe auf
jedem seiner Bilder Bildräume, in denen die
Farben und Formen durch Kontraste, Anziehungen und
Abstoßungen in einen permanenten aber offenen
Austausch miteinander treten.
Er unterstreicht Abgrenzungen, indem er blaue und
gelbe Elemente miteinander konfrontiert, er setzt
formale Kontraste, indem er z.B. klare rotleuchtende
Ringe auf eine zerstaubende blaue Farbexplosion
legt. Er schafft Zuordnungen, indem er die Farben
im gleichen malerischen Duktus miteinander tanzen
lässt oder sorgt für Verstärkungen,
indem er z.B. ein Rot noch klarer zum Strahlen bringt,
indem er ihm ein Gelb an die Seite stellt.
Offen ist dieser Austausch der Bildelemente insofern,
als die Kompositionen nie statisch sind. Alles scheint
immer in Bewegung zu sein, wie in einem Schwebezustand.
Um dieses delikate Gleichgewicht zu finden, benötigen
die Kompositionen eine gewisse Elastizität
bzw. Bewegungsfreiheit.
Mattiebe erreicht diese Bewegungsmöglichkeit
dadurch, dass er in unterschiedlichem Maße
Leinwand unbemalt lässt und so seinen Bildelementen
gleichsam einen Freiraum lässt, in dem sie
sich einrichten können.
Mich erinnern die Bilder Mattiebes manchmal an Blicke
in Phantasiegalaxien, in fremde, irreale Farbenkosmen
mit entstehenden und vergehenden Sternen, Planeten,
Milchstraßen.
Allerdings: Um Kosmen im strengen Sinne handelt
sich bei Mattiebes Bildern keineswegs, denn es sind
nie feste Ordnungen oder logische Raumkonstrukte.
Die Bildräume sind häufig ungeklärt,
lassen offen, wie die Schichtungen verlaufen, wo
vorn, wo hinten, oben und unten ist.
Ich habe Bernd gefragt, wie seine Bilder entstehen,
was ihn ihm vorgeht, wenn er vor der großen,
weißen Leinwand steht.
Es gäbe, sagt mir Bernd, wenn er ein Werk beginnt,
keine bestimmte Bildvorstellung, ebenso wenig Entwürfe
oder Skizzen von denen er ausgeht. Er fängt
einfach an und schaut, wie er es sagt, wo
es mich hinführt Am schönsten ist
es, meint Mattiebe, wenn mich das Bild selbst
überrascht.
Wer Bernd Mattiebes Werk kennt, dem werden in dieser
Ausstellung zwei Neuerungen auffallen.
Erstens: er gestaltet auch Objekte, seine fliegende
Lady und die bemalten Holzschuhe und, was vielleicht
noch einschneidender ist, er versieht seine Werke
erstmals mit Titeln. Dies ist ein großer Schritt,
denn wenn man als Künstler einem Werk einen
Titel gibt, verändert sich dessen Wirkung auf
den Betrachter unter Umständen grundlegend.
Nehmen Sie z.B. das Bild hinter mir. Man könnte
es einfach o.T. lassen, dann wäre es eine gegenstandslose
Komposition, in der das abstrakte Spiel von Farben
und Formen zentrales Thema ist oder aber man könnte
es Auferstehung nennen, dann würde
man nach theologischen Deutungen suchen oder man
nennt es Der Ring und würde u.U.
an die Nibelungen, an Wagner, an Musik denken. Jedes
Mal wäre es also ein völlig anderes Bild.
Mattiebe nennt das Bild Augenwiesen,
was einem Betrachter erstmal gar nicht weiterhilft
und diesen Titel gibt er nicht nur dem einzelnen
Werk sondern einer ganzen Werkgruppe: Andere Bilderserien
heißen Heimathafen oder Sommernachtstraum.
Nur seine Objekte haben eigene Titel: Sprung
ins Leere, heißt die nackte Farbenlady,
Einmal den Regenbogen fangen, seine
Installation aus bemalten Holzschuhen. Erstaunliche,
irritierende Sachen.
Warum, habe ich Bernd gefragt, warum plötzlich
die Titel und dann so emotionale. Wo kommen sie
her? Er sei sich selber unsicher gewesen, ob man
einem Bild einen so aufgeladenen Titel wie Sommernachtstraum
überhaupt geben dürfe. Aber, so Mattiebe,
es war an der Zeit. Das Bild sollte den Titel bekommen
und wer sollte ihm das verbieten. Es ist kein Geheimnis,
dass diese Entwicklung seiner Kunst etwas mit Bernd
Mattiebes neuem Leben zu tun hat. Er
hat seit kurzem neben Stuttgart ein zweites Atelier
in Den Haag bei seiner neuen Liebe. Mein Leben
ist nun zweigeteilt, sagt er, und es spiele
durchaus eine Rolle, wo die Bilder entstünden.
Mit den Titeln habe er die Möglichkeit die
Gefühle anzudeuten, die er mit seinen Bildern
verbinde.....
Auch wenn sie sich bislang nicht in den Titeln ausdrückte:
Die große Emotionalität der Bilder Mattiebes
ist von je her spürbar gewesen, das Rot, das
Blau und Gelb löst, wie wir sahen, nicht nur
ein Farb-, sondern immer auch ein Gefühlserleben
aus.
Mattiebe hat mir im Vorfeld der Ausstellung ein
Gedicht geschickt, das der Kunstwissenschaftler
Wolfgang Heger vor Jahren zu seinem Werk verfasst
hat. Aus diesem Gedicht stammen verschiedene Worte
und Sätze, die Mattiebe heute seinen Bildern
als Titel gibt: Augenwiesen z.B. oder Einmal
den Regenbogen fassen.
Es wundert nicht, das dieser Text dem Künstler
heute noch so wichtig ist, denn er enthält
Passagen, die spürbar machen, das Mattiebes
Bilder mehr sind als radikale Farbexperimente. Sie
zeigen, wie emotional und existentiell Malerei für
Mattiebe ist, Sie ist, wie es der alte Henninger
formulierte
Ein Erlebnis aus der gelebten Fülle des
Malers
Daher zum Schluss ein Zitat aus Wolfang Hegers Text:
Ein Mann schläft friedlich
und der Staub ist seine Decke.
Er ist durch Farbe gegangen
und hat Farbe
auf Leinwand und Zunge aufgetragen
als Verteidigung
der letzten, inneren Grenze
Tobias Wall, Möhringen, 27.
Januar 2012
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